5 Fragen an... Marlies Schröder

LEBENSHILFE-Geschäftsführerin Marlies Schröder zum Internationalen Tag der Frauen – „Vor 40 Jahren gab es in unseren Arbeitskreisen keine Geschäftsführerinnen.“

Foto: LEBENSHILFE Bremervörde/Zeven Seit 42,5 Jahren unermüdlich am Werk: Geschäftsführerin Marlies Schröder startete 1980 als Buchhalterin bei der LEBENSHILFE und prägte diese in den vergangenen vier Jahrzehnten wie kaum eine andere Person.

Foto: LEBENSHILFE Bremervörde/Zeven Marlies Schröder: Die erste Geschäftsführerin der LEBENSHILFE Bremervörde/Zeven freut sich über Entwicklungen hin zu einer inklusiven Gesellschaft.

Am 8. März ist der Internationale Tag der Frauen, der seit mehr als 100 Jahren begangen wird. An diesem Tag demonstrieren Menschen gegen Geschlechter-Diskriminierung und für Gleichstellung und Gleichberechtigung. Letztere sind eine Voraussetzung für eine inklusive Gesellschaft, für die sich die LEBENSHILFE Bremervörde/Zeven einsetzt. Die soziale Einrichtung wird von einer Frau geprägt wie von kaum einer zweiten Person: Geschäftsführerin Marlies Schröder. Vor fast genau 42,5 Jahren, am 1. September 1980, hatte sie in Selsingen ihren ersten Arbeitstag bei der „Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind e.V.“ Kreisvereinigung Bremervörde – wie die damalige Bezeichnung lautete. Mit Anfang Zwanzig stieg Marlies Schröder dort als Buchhalterin ein. Bereits rund eineinhalb Jahre später beschloss der Vorstand, ihr die stellvertretende Geschäftsführung zu übertragen.

Mit der Zeit wuchs die LEBENSHILFE, neue Bereiche bildeten sich heraus und die gemeinnützige GmbH entstand. Diese ist Träger aller Einrichtungen und Dienste der LEBENSHILFE Bremervörde/Zeven, deren alleiniger Gesellschafter der LEBENSHILFE-Verein ist. Von März 2017 bis Juli 2019 übernahm Marlies Schröder die Interimsgeschäftsführung der gemeinnützigen GmbH. Diese Aufgabe teilte sie sich mit Marlies Gresens, der damaligen Leitung der staatlich anerkannten Tagesbildungsstätte Helga-Leinung-Schule. Die beiden waren die allerersten Frauen in dieser Position. Marlies Schröder blieb in der Folge dauerhaft in der Geschäftsführung, die sie sich derzeit mit Volker Wahlers teilt. Anlässlich des Internationalen Tags der Frauen blickt die weibliche Führungskraft zurück und in die Zukunft.

Sie haben schon früh verantwortungsvolle Aufgaben bei der LEBENSHILFE Bremervörde/Zeven übernommen – wie war es damals als Frau in einer Führungsposition?

Ich bin direkt ins kalte Wasser gesprungen und habe mich in alles selbst „hineingefuchst“: Eine Einarbeitung gab es nicht, da der vorherige Buchhalter nicht mehr im Hause und auch die Geschäftsführung aus Altersgründen gerade neu besetzt worden war. Angetrieben hat mich, dass ich immer sehr interessiert war an der Weiterentwicklung, Unterstützung und Begleitung aller Lebensabschnitte von Menschen mit Behinderungen und ihrer Familien – und natürlich deren Finanzierung. Dem Vereinsvorstand hat mein Engagement gefallen und mir deshalb mehr Verantwortung übertragen. Um die ständig steigenden Anforderungen zu meistern, nutzte und nutze ich Softwarelösungen, themenbezogene Fortbildungen, eine gute Vernetzung mit anderen LEBENSHILFEN und die Teilnahme an Arbeitsgemeinschaften auf Landesebene.

Gerade durch Letztere habe ich mir in der Anfangsphase sehr viel Wissen ziehen können. Dort trafen sich beispielsweise die Geschäftsführungen aller niedersächsischen LEBENSHILFEN. Ich kann mich noch gut erinnern, vor 40 Jahren gab es in unseren Arbeitskreisen keine Geschäftsführerinnen. Ich war dort die einzige Frau, aber ich wurde akzeptiert. Bald fand dann ein Generationenwechsel auf dieser Ebene statt: Viele jüngere Männer übernahmen die Leitungen der verschiedenen LEBENSHILFEN, sodass wir für die Einrichtungen Impulse für mehr Eigenständigkeit und Erneuerungen setzen konnten, wie beispielsweise einen veränderten Personalschlüssel zur Begleitung unserer Klient:innen. Auch der Frauenanteil in den Geschäftsführungen hat sich in den letzten Jahren geändert, wobei sicherlich der männliche Anteil in Führungspositionen immer noch überwiegt.

Sie sind verheiratet, haben zwei erwachsene Töchter und mittlerweile auch Enkelkinder – wie haben Sie es geschafft, Familie und Beruf zu meistern?

Nach der Geburt meiner ersten Tochter bin ich ein halbes Jahr zu Hause geblieben. Ich habe mich allerdings nebenbei fortgebildet. Nachdem meine jüngere Tochter auf die Welt gekommen ist, habe ich sogar nur während des Mutterschutzes, also für acht Wochen, beruflich ausgesetzt. Danach bin ich direkt wieder in Teilzeit eingestiegen. Es gab einfach so viel zu tun und zu bewegen bei der LEBENSHILFE. Im privaten Umfeld war ich damit vor 40 Jahren noch die absolute Ausnahme: Frauen sind sehr lange oder gar dauerhaft zu Hause geblieben und haben die Kinder selber betreut. Ein Regelkindergarten war damals auf dem Lande eine Seltenheit. Wir hatten das Glück, dass in Selsingen mit „Der Arche“ gerade der erste Kindergarten eröffnete – noch dazu in den Räumlichkeiten der LEBENSHILFE.

Meine ältere Tochter bekam einen Platz und ich konnte sie morgens immer direkt mitnehmen und sie blieb bis mittags dort. Spielkreise gab es zwar auch, aber diese waren nur an bestimmten Wochentagen und nur mit ein paar Stunden besetzt. Meine jüngere Tochter war in einem solchen Spielkreis. Von daher war Arbeit und Familie nur mit einer Menge Organisation und Koordination möglich und vor allem dank der Unterstützung der Familie. Eltern, Schwiegereltern und Geschwister – die habe ich alle ordentlich eingespannt. Und in bestimmten Situationen hat der Arbeitgeber zum Glück auch mitgespielt.

Was hat sich alles in Sachen Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frauen verändert – generell und im Unternehmen?

Als ich ins Berufsleben einstieg, wurden unverheiratete Frauen noch „Fräulein“ genannt, auch im hohen Alter. Einer meiner Berufsschullehrer sprach damals allerdings alle Schülerinnen mit „Frau“ an, weil er „unverheiratete Schüler ja auch nicht ‚Herrlein‘ nennen würde.“ Damit war er seiner Zeit voraus und ist mir in Erinnerung geblieben (lächelt). Aber generell muss man leider sagen: Wenn man sich die derzeitigen globalen Entwicklungen anschaut, verschlechtert sich die Situation für Frauen in vielen Regionen. Auch hierzulande ist noch ein langer Weg zur Gleichstellung zu gehen. Der Equal Pay Day hat gerade erst die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen erneut aufgezeigt. In diesem Zusammenhang möchte ich als Beispiel noch einmal auf Betreuungsmöglichkeiten zurückkommen. Diese sind zwar ausgebaut worden, Krippen und Kindergärten sind jetzt keine Seltenheit mehr, aber hier muss noch mehr passieren. Durch meine Enkelkinder erlebe ich, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle nach wie vor eine große Herausforderung ist und häufig der Unterstützung der Familie bedarf. Die Lockdowns während der Pandemie haben das extrem verdeutlicht und der Fachkräftemangel im pädagogischen und sozialen Bereich verschärft die Situation.

In Bezug auf Löhne und Gehälter gab es schon in der Vergangenheit in unserem Bereich keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Eingruppierung der Mitarbeitenden wurde nach einem Erlass des Niedersächsischen Sozialministeriums geregelt. Hier wurde nach Tätigkeit, Verantwortung und Anzahl der Menschen mit Behinderungen eingestuft. Auch heute stufen wir unsere Mitarbeitenden transparent nach Tätigkeit und Verantwortung in die entsprechenden Entgeltgruppen ein, an denen wir uns anlehnen. Als soziale Einrichtung sind wir in einer Branche tätig, in der nach wie vor mehr Frauen arbeiten. Wir hatten schon früh weibliche Führungskräfte, besonders im pädagogischen Bereich. Aber auch in den Bereichen Wohnen und Werkstatt, die häufiger von männlichen Kollegen geleitet werden, waren beziehungsweise sind Frauen in Führungspositionen tätig. Derzeit haben wir deutlich mehr weibliche Einrichtungsleitungen als männliche. Frauen mit Leitungsverantwortung sind gut, es ist jedoch auch wichtig, dass sich mehr Männer dazu entscheiden, in der Sozialbranche zu arbeiten.

Wie sieht die Situation für Frauen mit Behinderungen aus?

Bei unseren Werkstatt-Beschäftigten sind die Lohngruppen und die Arbeitsbedingungen gleich, unabhängig vom Geschlecht. Je nach Neigung sind auch die Werkstatt-Gruppen, in denen die Beschäftigten arbeiten möchten, wählbar. Es gibt Bereiche, in denen nach wie vor deutlich mehr männliche Beschäftigte arbeiten – wie der Garten- und Landschaftsbau oder die Holz- und Metallverarbeitung. Doch erfreulicherweise gibt es auch immer häufiger weibliche Beschäftigte, die sich für diese Gruppen entscheiden.

Zudem sind seit dem 1. Januar 2017 die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) verpflichtet, Frauenbeauftragten-Stellen einzurichten. Das ist in der Werkstätten- Mitwirkungsverordnung (WMVO) geregelt. Unsere gewählten Frauenbeauftragten werden von einer Assistenz unterstützt und bei Bedarf begleitet. Gegenüber der Werkstattleitung vertreten die Frauenbeauftragten die Interessen der Frauen mit Behinderungen, die in der Werkstatt arbeiten. Dazu gehören besonders drei Punkte: Gleichstellung der Geschlechter, Vereinbarkeit von Familie und Beschäftigung und Schutz vor körperlicher, sexueller und psychischer Belästigung oder Gewalt. Die Frauenbeauftragten leisten somit sehr wichtige Arbeit.

Sie leiten auch die Freizeit- und Reha-Sportvereinigung (FRSV), die zum LEBENSHILFE-Verein gehört. Was macht die FRSV und wie sieht es hier mit dem Engagement von Frauen und Männern aus?

Die FRSV hatte 2022, während der Corona-Pandemie, das Jubiläum des fünfundzwanzigjährigen Bestehens, sodass wir es leider nicht feiern konnten. Im März 2011 habe ich hier die Leitung übernommen. Wir bieten bewegungstherapeutische Maßnahmen für die Bereiche Wirbelsäulenerkrankung, Osteoporose und geistige Behinderung sowie zusätzlich einen Rückenschule-Kurs an. Diese Aufgabe übernehmen zwei zertifizierte Übungsleiterinnen. Im Bereich Reha-Sport sind wir derzeit also rein weiblich besetzt. Aber wir bieten auch Freizeitaktivitäten an, zum Beispiel unsere Winterwanderung, die Teilnahme am Behindertensportfest der Seestadt Bremerhaven oder eine Mallorca-Reise. Hier engagieren sich auch männliche Kollegen. Jetzt nach Corona laufen die Aktivitäten endlich wieder an und alle, die sich engagieren möchten, sind herzlich willkommen. Besonders beim Reha-Sport ist der Bedarf groß. Wir würden gerne unser Angebot ausbauen, beispielsweise für Kinder.

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Medienkommunikation

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